An eine bekannte Unbekannte
Persönlich kennen wir uns nicht. Deswegen schreibe ich an Sie, die Sie von dieser Zeitungsstelle her bekannt sind als mir „bekannte Unbekannte". Nur über Geschriebenes verkehrten wir miteinander, und um Ihr Geschriebenes geht es mir heute, Frau Elisabeth Simon.
Kürzlich verabschiedeten Sie sich von dieser Stelle mit einer letzten Kolumne von Ihrer Kolumne „Wortmeldungen einer Alten“. Fast drei Jahre lang schrieben Sie einmalig im Monat. Einmalig in mehrerer Hinsicht. Deswegen kommen Sie mir nicht so „sang- und klanglos“ davon.
Was sind Ihre Kolumnen für mich und etliche andere gewesen, die ich auf Sie ansprach? Ihre Kolumnen sind auch Ihre Person. Erinnern wir uns: „Person“ stammt von personare=lat.=hindurchtönen. Im antiken Theater hielten die Schauspieler eine Maske vor ihr Gesicht und sprachen, tönten durch diese hindurch entsprechend ihrer Rolle, ihren Texten. Durch Ihre Kolumnen zum Älterwerden und Altsein tönte durch, dass Sie es gerne und temperamentvoll sind: Alter und Alt.
Ihr Hindurchtönen in den Kolumnen brachte Ihren Lesern die Ur-Zeitpunkte jedes menschlichen Lebens nahe: Themen wie Liebe (mit und ohne Kinderkriegen), kleine, große und letzte Abschiede, die ja alle miteinander verwandt sind, Krise und Neubeginn...
Eine sehr junge Frau (eine mit schon ausgetauschten Lebensabschnittspartnern) hörte ich über Sie sagen: „Deren Männerbild möcht ich wohl haben...“. Es klang nachdenklich, eine Spur sehnsüchtig. 82 Jahre sollen Sie - angeblich -sein. Ihre Geschichten nahmen weit jüngeren und noch älteren Menschen, als Sie und ich es sind, das Bedrohliche vor dem Altwerden, verringerte unseren Jugendwahn, ließ neugierig auf das warten, was anderen meist noch bevorsteht: Altsein.
Durch alle Ihre Arbeit schimmerte „Humor“ durch, der komplizierter entsteht, als manche glauben: Humor (nochmals ein bisschen Latein:) hängt mit Feuchtigkeit zusammen. Mit der Feuchtigkeit der Träne. In dieser Art Träne fließen Heiterkeit und Trauer, Vergnügtes und Schwieriges in der Dankbarkeit für ein erfülltes Leben zusammen.
Sie haben sehr eindrucksvoll einfühlsam geweint in Ihren Kolumnen, verehrte Frau Simon. Sie sagten auf winzigem Zeitungs-Platz viel Weises, was mich an eine frühe Ming-Dynastie in China erinnert: Dort mussten die Familien mit einer weisen Großmutter mehr Steuern zahlen als die ohne. Die Weisheit der Alten nutzte der ganzen Familie, weshalb man für diese Bevorteilung besteuert wurde. Man vergleiche das Heute, in dem Kindern Geld draufgegeben wird, nur damit sie ihre Alten behalten.
In Ihrer Broschüre „Der goldene Ball“ mit dem Untertitel der nun von Ihnen beendeten Kolumne („Wortmeldungen einer Alten") lese ich, wie gerne und erfüllt und erfüllend Sie die langen Jahre mit Ihrem Mann Dr. Arno Kosmale erinnern - und davon weitergeben.
Und von so vielem mehr gaben Sie weiter, per-sonierten Sie. Vielen Dank Ihnen- und Herrn Nolte in der Redaktion. Doch, es gibt (noch) Journalisten, die auch Zeitraubendes in ihrer eiligen Zeitung vermitteln. Als kleine Chance zum „Innehalten für Wesentliches“: Die Wortmeldungen von Ihnen, Frau Simon. Sie - von Sprache und Foto her - attraktive weise, mir bekannte, unbekannte Alte!
30. Januar 2001